…gab ich für Papier

Berichte mehren sich, wonach sich Stapelwaren in den Lagerhallen der Seehäfen ringsum in der Welt und sogar auf Frachtschiffen stauen. Die Güter werden nicht ausgeliefert, weil die Finanzierung nicht mehr zu klären ist. Um Waren zu laden, muß der Schiffseigner wissen, daß sie auch abgeholt und bezahlt werden kann. Dazu benötigt er ein Bankpapier, ein Akkreditiv (Letter of Credit, L/C). Das war seit Begin der christlichen Seefahrt so üblich und hat über Jahrhunderte gegolten. Die Bankenkrise hat dieses System gestört.

Banken halten sich bei der Ausstellung von Akkreditiven zurück, weil sie ihr Geld für Forderungen zusammenhalten, die aus älteren Spekulationsgeschäften auf sie zukommen könnten, und auch, weil zur Zeit viele Kaufverträge gekündigt werden oder platzen. Schiffsraum beginnt brach zu liegen, Lagerhallen sind überfüllt, der international Güterverkehr beginnt zu stocken. Sollen die eigenartigen Piratenangriffe vor Somalia in einem Seengebiet, das von Kriegsschiffen mit modernster Ortungstechnik nur so wimmelt, davon ablenken? In diesem Jahr wurden bis zum 16. November bei 95 Überfällen 39 Handelsschiffe gekapert, darunter die „Faina“ mit 33 ukrainischen Panzern des Typs T-72 und anderen Waffen an Bord. 17 Schiffe liegen im Gewahrsam der Piraten in Häfen Somalias. „Nach vorläufigen Schätzungen wurden seit Anfang des Jahres 25 bis 30 Millionen US-Dollar als Lösegeld an die Piraten gezahlt“, berichtete UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und sieht den Grund in der wirtschaftlichen Notlage des Landes, das sich dank westlicher Interventionen seit 15 Jahren in einem Bürgerkrieg befindet. Nach anderen glaubwürdigeren Quellen kommen die Erlöse weniger dem Land als vielmehr einzelnen Kriegsparteien zugute, vor allem solchen, die der Abwehr der dem Westen nicht genehmen, islamischen Richter mit den erwiesenermaßen besten Aussichten, das Land zu befrieden, dienen. Das könnte die ungewöhnliche Impotenz der westlichen Kriegsmarine in diesem Krisengebiet erklären.

Liegen bleiben besonders Massengüter wie Energieträger und sonstige Rohstoffe, die meistens in Dollar gehandelt wurden. Denn Dollar stehen kaum noch zur Verfügung, weil das meiste von dem, was bislang „die Wirtschaft“ genannt wurde, damit beschäftigt ist, ihre in Dollar an den internationalen Finanzmärkten gesetzten Spielschulden zu begleichen.

Vor Jahren hatte der Spatz als mögliche Folge der Schulden-Finanzwirtschaft folgendes an die Wand gemalt: Eines Tages gehen Sie zum Bäcker und wollen Brot kaufen. An Brot fehlt es nicht, aber der Bäcker will Ihnen für Euroscheine keines verkaufen. Die Situation scheint nun einzutreten. Zwar wird Ihnen persönlich Ihr Bäcker auf absehbare Zeit noch Brot gegen Euros verkaufen, aber auf den internationalen Märkten setzt die beschriebene Ernüchterung ein: Keine Ware gegen Buntpapier. Die Zeiten von „Gold gab ich für Eisen“ sind vorbei. Werden sie nun wieder heraufbeschworen?

Selbst das von Export abhängige China beginnt umzudenken, nachdem 700.000 Arbeitsplätze in der Export-Industrie der Provinzen Shandong and Hubei ihre Arbeitsplätze verloren haben. De Zentralregierung in Peking will nicht mehr in erster Linie den Export absichern, sondern die Soziale Sicherheit. Diese sei, meint Liu Junsheng in „China Daily“ vom 18. November „wichtiger als die Wirtschaftsentwicklung“. Nach einer Regierungs-Direktive vom Vortag gilt die oberste Priorität der Erhaltung der Arbeitseinkommen und werden die Provinzregierungen aufgefordert, dahingehende Notstandsprogramme zu entwickeln. Damit stellt sich in China nun die Hauptaufgabe, ohne Einfluß von außen einen eigenen Binnenmarkt zu schaffen und zu entwickeln. Das geschieht nicht ohne Grund.

Anlaß für diese Sorge könnte das seit dem 17. November tagende Treffen von mehr als 600 Exiltibetern am Sitz der „Exilregierung“ Tibets in Dharamsala (Indien) sein. Bei dem Treffen wird die Strategie der kommenden Jahre festgelegt. Diskutiert wird nicht mehr über Autonomie, sondern über Abspaltung – mit Unterstützung westlicher Kreise. Für diese tun sich in Deutschland besonders die Parteistiftungen von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP hervor. Sie fördern mit ihren amerikanischen Freunden die 2008 gegründeten „Aufstandsbewegung des tibetischen Volkes“ („Tibetan People’s Uprising Movement“) und den älteren „Tibetan Youth Congress“, der laut Satzung fordert: „für die vollständige Unabhängigkeit Tibets zu kämpfen – selbst um den Preis des eigenen Lebens“ (Aims and Objectives; http://www.tibetanyouthcongress.org). „Sie [die Delegierten] hinterfragen zunehmend das Bekenntnis zur Gewaltfreiheit und suchen nach neuen Ansätzen des Widerstands“. Ihr Ziel sei es offenbar, „die Besatzungskosten für China in die Höhe (zu) treiben“ („Der Fall Tibet“ in FAZ vom 18. November) Dabei geht es nicht mehr nur um die Autonome Region Tibet, sondern um die chinesischen Provinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan. Im Grund geht es darum, einen Weltkonkurrenten durch innere soziale Konflikte zur Detonation zu bringen. Die Exiltibeter haben als nützliche Idioten die Zündschnur zu liefern und zu legen.

Auch Rußland macht sich über soziale Folgen der Internationalen Finanzkrise Sorgen. Das veranlaßte Ministerpräsident Wladimir Putin, den Bürgern zu versichern, der Staat garantiere die Rückgabe aller Einlagen bei den heimischen Banken, die den Betrag von jeweils 700.000 Rubel (rund 20.000 Euro) nicht übersteigen. Damit würde er die Einlagen von 98,5 Prozent der russischen Sparer sichern. Das Gesetz dafür soll es (laut RIA Novosti) bereits geben.

Die USA plagen ähnliche Sorgen doch mit anderem Schwerpunkt. Die „Washington Times“ berichtet über eine Studie eines US-„Rat für nationale Aufklärung“ mit der Überschrift „Globale Tendenzen 2025: die anders gewordene Welt“. An ihr hätten „Hunderte von Experten aus aller Welt“ ‚18 Monate lang gearbeitet und seien zu dem Schluß gekommen: „Bei einem bleibenden gegenwärtigen Wachstumstempo dürfte Rußland in etwa 20 Jahren zur fünftgrößten Wirtschaftsnation aufsteigen. Sollte der Ölboom weiter anhalten, wird Rußland den fünften Platz sogar früher belegen, möglicherweise im Jahr 2017“. Die USA werde ihre dominierende Stellung in der Welt einbüßen, weil die „degradierende Wirtschaft und der Verlust der militärischen Vormachtstellung Washington dazu zwingen könnten, die schwierige Wahl zwischen inneren Angelegenheiten und der internationalen Politik zu treffen“. Einer der Gründe sei, daß der US-Dollar den Status der weltweiten Reservewährung einbüße und nur zur „ersten Devise unter den gleichen in einem internationalen Währungskorb“ werden könne, was den US-Ambitionen widerstreitet. Ein anderer noch wichtigerer Grund sei: „Statt westliche Modelle der politischen und ökonomischen Entwicklung zu kopieren, werden immer mehr Länder zu alternativen Entwicklungsmodellen wie in Rußland oder China greifen“. Deshalb erwartet die Studie ein verstärktes Wettrüsten vor allem bei atomaren Waffen und im Nahen Osten. Letztere Erwägung deutet daraufhin, daß es sich bei dem Papier weniger um eine Trendbeschreibung als um ein chiffriertes Strategiepapier gegen diesen Trend handelt.

Vor diesem Hintergrund ist die Rede des derzeitigen US-Verteidigungsministers Robert Gates vom 28. Oktober an der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden interessant, zumal Gerüchte wissen wollen, daß Gates unter Obama Gates dieses Amt behalten soll. Ob die Gerüchte mehr wissen als Obamas in seinem etwas verblasenen ersten CBS Interview nach der Wahl am 16. November gesagt hat, ist nicht nachprüfbar. Obama sagte auf die Frage, worauf er sich in letzter Zeit „hauptsächlich konzentriert“ habe, ohne zu zögern: „Als erstes ist es wichtig, ein Team für die nationale Sicherheit zu haben […] Wir wollen, daß es in Fragen der nationalen Sicherheit einen möglichst reibungslosen Übergang gibt“.

Die gegenwärtige nationale Sicherheits-Politik der USA, die Bush-Doktrin, betont im Wesentlichen das Recht der US-Regierung, jedes Land präventiv anzugreifen, von dem sie glaubt, es könne einmal zu einem militärischen Konkurrent für die Vereinigten Staaten werden. Gates ergänzt diese offizielle Politik des Aggressionskriegs für den Fall, daß von irgendeiner Seite Macht und Eigentumsansprüche der amerikanischen Elite in Frage gestellt werden könnten, durch die Möglichkeit, dabei auch Atomwaffen einzusetzen. Die Aussage könnte bei einem „möglichst reibungslosen Übergang“ als eine Art politisches Manifests der kommenden US-Regierung verstanden werden, selbst wenn Gates abgelöst wird. Denn in machtpolitischen Fragen ist sich die US-Elite einig, seit der New Yorker Journalist John L. O’Sullivan 1845 in einem Artikel in der „Democratic Review“ die Amerikanische Doktrin der „Manifest Destiny“ zum ersten Mal offen geprägt und propagiert hatte, nämlich „die offenkundige Bestimmung der Nation, sich auszubreiten und den gesamten Kontinent in Besitz zu nehmen, den die Vorsehung uns für die Entwicklung des großen Experimentes Freiheit und zu einem Bündnis vereinigter Souveräne anvertraut hat“. Nur bezieht sich das Konzept in zwischen offensichtlich nicht nur auf den amerikanischen Kontinent, sondern die gesamte Landmasse der Erde und den amerikanischen Weg der vermachteten Wirtschaft.

In seiner Rede sagte Gates: „Wer die USA auf dem Gebiet der Nukleartechnik – oder mit anderen Massenvernichtungswaffen – herausfordert, muß mit einer gewaltsamen, katastrophalen, Antwort rechnen“. Dabei sei es nicht notwendig, daß ein Staat tatsächlich ABC-Waffen besitze. Schon „der Versuch“, an solche Waffen heranzukommen, reiche aus, um Ziel einer präventiven „katastrophalen Antwort“ der Vereinigten Staaten zu werden. Eine solche Antwort hielt er sogar schon bei Hackerangriffe auf die Computersysteme oder Kommunikationssatelliten der Vereinigten Staaten für „angemessen“. Tatsächlich berichten US-Medien über solche Angriffe in jüngster Zeit und machen Quellen in Rußland und China dafür verantwortlich (vgl. diese Quelle</A>). Konsequent forderte Gates eine deutliche Erhöhung der Ausgaben für Atomwaffen, und die mögliche Wiederaufnahme von Atomwaffen Tests. „Das Programm, das wir im Sinn haben, dreht sich nicht um neue Ressourcen – Miniaturbomben oder Anti-Bunkerwaffen oder taktische Atomwaffen. […] Es geht um die zukünftige Glaubwürdigkeit unserer strategischen Abschreckungsmittel“. Dabei kündigte er die „Zentralisierung von Atompolitik und Aufsichtsführung“ an, wahrscheinlich um Hackerangriffe auf Computer oder terroristische Angriffe mit Massenvernichtungswaffen besser und weniger umstritten auf gewünschte Schuldige zurückverfolgen zu können.

Um die näheren Bestimmungen des G-20-Plans zur Regelung der Weltfinanzen wird nach dem Blabla in Washington vom 15. November noch hart gekämpft werden. Der Chef des Financial Stability Forum der Intern. Geschäftsbanken in Basel (FSF), Mario Draghi, und des IWF, Strauss-Kahn haben in einem Brief an die G-20 vorgeschlagen, ihre beiden Organisationen zum Zentralorgan zur Regelung der Weltfinanzen und damit einer künftigen Weltregierung zu machen. Um Ihr Ziel zu erreichen, schreibt die Zeitung „Il Giornale“ am 17. November, setzt die FSF auf „die Unterstützung der neuen US-Regierung und ihres Mannes, Tim Geithners, von der FED in New York, der für die Spitze des US-Schatzamtes vorgesehen ist und der in den letzten Monaten eng mit Draghi zusammengearbeitet hat“.

Dagegen deutete der russische Vize-Finanzminister Dmitri Pankin am 17. November auf einer Pressekonferenz bei RIA Novosti an: „Wir nehmen im großen und ganzen sehr ähnliche Positionen [mit den anderen BRIC-Ländern: Brasilien, Rußland, Indien, China] ein. Wenn wir im Alleingang aufgetreten wären, hätten die G7-Länder uns vorsichtig zurückgesetzt. Wir waren schon mit einer solchen Herangehensweise konfrontiert“.

Um dieser „Herangehensweise“ Nachdruck zu verleihen und der historischen Rolle Polens in den Weltauseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts gerecht zu werden, hat Polens Außenminister Radoslaw Sikorsky am 20. November in Warschau wieder zur Eingliederung Georgien und der Ukraine in die NATO gedrängt. Dementsprechend war auch das Treffen in Nizza wieder wie die Rußland-EU-Gipfel der letzten Jahre, ergebnislos verlaufen, schrieb die Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta am 17. November. Wir gehen, ob aus Dummheit oder Bösartigkeit, schweren Zeiten entgegen – und zu welchem anderen Zweck, bitte schön, als Großmannsucht der Geldsäcke?